Jazzszene Ruhrgebiet

von Martin Lücke


Inzwischen hat sich das vor zwei Jahren gegründete 15 köpfige und selbsternannte "interstellare Großraumschiff" Supernova unter der künstlerischen Leitung von Jan Klare und Peter E. Eisold zum musikalischen Inbegriff für die vitale, kreative und innovative Jazzregion zwischen Rhein und Ruhr entwickelt.
Allerdings: wer gehört dieser Ruhrgebietsjazzszene an, wo sind deren Ursprünge, wodurch zeichnet sie sich speziell aus und worin bestehen die konkreten Probleme für eine funktionierende Jazzszene?

Idee und Ursprünge

Der vielfältige Saxophonist und Wahlmünsteraner Jan Klare ist einer der rastlosesten Musiker in Sachen Jazz, wenn es um die Entwicklung neuer Projekte und der Herausbildung einer eigenständigen und gut funktionierenden Szene geht. In einem ausführlichen Gespräch erzählte er, das er persönlich zu Anfang seiner Karriere viele Jahre im wahrsten Sinne des Wortes mit seiner Musik in Deutschland rumkrebste, mal hier, mal dort spielte. Erst die Übersiedlung nach England in den 80er Jahren verdeutlichte ihm ganz massiv, welche weitreichenden Möglichkeiten auch mit einer Musik wie dem Jazz offen stehen, wenn intensiv und konzentriert zusammengearbeitet wird. Nicht, dass es in England Auftrittsmöglichkeiten en masse gab, oder aber potentielle Fördergelder nur so sprudelten, doch ein kleiner aber rastloser Kern von kreativen Musikern stellte eigene Festivals auf die Beine und gründete Initiativen. Die damals kleine aber informelle Jazzszene in England war für Klare ein gelungenes Beispiel dafür, was alles gelingen kann, wenn genügend Eigeninitiative und Ausdauer vorhanden sind. Eine weitere gut funktionierende Szene im benachbarten Ausland war und ist die in Amsterdam, die mittlerweile auch international den großen Durchbruch geschafft hat und bereits auf eine nachgewachsene Gruppe junger und kreativer Köpfe blicken kann, die den eigenen Sound und die Idee der Szene weitertragen und entwickeln.
Zurück in Deutschland versuchte Jan Klare zunächst eine ähnliche Szene Mitte der 90er Jahre in Münster zu etablieren, im Rückblick leider ohne den erhofften Erfolg. Es gab in und um Münster nur wenige Jazzmusiker, die in der Herausbildung einer eigenen und funktionierenden Szene nicht bloß einen Job unter vielen, sondern darin eine dringende Notwendigkeit für die Zukunft sahen. Das wichtigste sind in den Augen von Jan Klare nicht ausschließlich professionell arbeitende Musiker und kreative Köpfe, sondern die Bedürftigkeit nach einer eigenen Szene, denn eine Verpflichtung zur gemeinsamen Zusammenarbeit, wie durch einen Veranstalter, ist nicht möglich. „Der Bedürftigkeit und der Wunsch dies außerhalb der Musik umzusetzen, muss gegeben sein.“
Gleichfalls ist die Etablierung einer Szene von einer Vielzahl äußerer Aspekte abhängig. „Die Zeit muss es erlauben“, so Jan Klare. Abseits der Pfade der übermächtig erscheinenden Musikindustrie ist es äußerst schwierig, genügend Musiker für solche Projekte bzw. eine eigene Szene zu begeistern. Und trotz aller persönlicher Bemühungen bleibt die Hauptfrage immer im Vordergrund: Finden sich genügend Zuhörer für diese Art von Musik? Deshalb ist der alleinige Wunsch von Musikern nach einer eigenständigen Szene im Endeffekt nicht ausreichend für dessen Entstehung und Etablierung, aber der erste und vor allem der wichtigste Grundstein.


SUPERNOVA - Ein interstellares Großraumschiff

Es dauerte letztendlich bis zum Herbst 2000, als zum Abschluss und als Höhepunkt der (zunächst) erfolgreichen Netzwerkbestrebung im Ruhrgebiet, JazzPodiumRuhr – Swingbeats, das Supernova Orchester gegründet wurde. Supernova ist ein Zusammenschluss von 15 Musikern der vielfältigen NRW Szene aus den Bereichen Jazz, Improvisation, Neuer oder auch türkischer Musik, die durch dieses Projekt lautstark ein Zeichen setzen. Wo bis zu diesem Zeitpunkt die regionalen Einzelbands und Projekte eher vereinzelt präsentiert wurden, wurde mit der Idee von Supernova eine kraftvolle Vereinigung der neuen Ruhrgebietsjazzszene initiiert. Jan Klare und Peter Eisold hatten bei der Auswahl der Musiker freie Hand und stellten die interessantesten Musiker der Region in einer Band zusammen.
Aber Supernova ist weit mehr als ein bunt zusammengewürfeltes Solistenorchester. Es symbolisiert die pulsierende multistilistische Schlagader der entstehenden, innovativen und eigenständigen Jazzszene zwischen Rhein und Ruhr. Rund um den Dunstkreis der etwas anderen Big Band bilden sich seit langem neue kleinere Satellitenbands und Projekte, die aber die Idee des „interstellaren Großraumschiffs“ Supernova, eine besondere Spielhaltung und andere Musizierkriterien weitertragen und damit der Jazzszene eine unverwechselbare Einheit geben.
Das Orchester wird daher auch von seinen Mitgliedern eher als ein Dorf denn als bloßer Klangkörper gesehen, da es den Querschnitt einer ganz bestimmten musikalischen Szene des Reviers darstellt. Zwar sind Jan Klare und Peter E. Eisold die musikalischen Köpfe der Big Band, doch übernimmt auch jeder der anderen Musiker einen gewissen Teil Eigenverantwortung, bei 15 Individualisten nicht immer ganz einfach. So ist einer immer zuständig für den Bühnenaufbau, ein anderer für das Stimmen der Instrumente. Damit ist die Mitgliedschaft bei Supernova mehr als ein Job, sondern gezielte Eigenverantwortlichkeit für die individuelle Weiterentwicklung.


Der Sound des Ruhrpott

Die Jazzszene im Ruhrgebiet um das Supernova Orchester herum ist inzwischen weitaus vielfältiger. Neben einigen bereits bestehenden Gruppen bildeten sich rund um die Big Band in der Folgezeit neue feste Formationen und andere kurzfristigere Projekte, zum Teil direkt aus dem Mitgliederpool, aber auch durch Einbeziehung von jungen und kreativen Nachwuchsleuten, die im Dunstkreis von Supernova zusammentreffen (Quartett Sonnenschein, Toytones, Andreas Wahl´s Experimentle Band, Das Böse Ding, Matthias Müllers Bhavan, AOS Eikern, Das letzte Kammerensemble etc.).
Die Besonderheit dieser vielfältigen Formationen und Projekte ist ihr Sound. Die Jazzszene im Ruhrgebiet entwickelt seit langem einen unverwechselbaren Klang, der nicht auf Schönheit, Eleganz und Harmonie zielt, sondern die ureigene emotionale Direktheit und die industrielle Vergangenheit des Reviers repräsentiert. Der kollektive Sound des Ruhrgebiets ist daher dreckig, rau, ungeschliffen und ein wenig zickig. Aber aus den meisten Kompositionen weht ein frischer Wind der Ironie, denn: Humor ist, wenn es trotzdem swingt!
Unterschiedlichste Musiktraditionen finden sich bei vielen der Stücke wieder. Griechische Volksweisen, Klezmeranklänge, der swingende Sound eines Vorkriegsorchesters oder pure undefinierbare expressive Klangwolken, die dem Hörer fast das Trommelfell zerreißen (Klare: „Eine gewisse Portion Krach muss sein“) sind nicht nur Markenzeichen im ungezähmten Klang von Supernova. Unerwartete Brüche, dann wieder konkrete Formen und Strukturen wechseln sich spielend ab, musikalische Prinzipien, die von den meisten Gruppen der immer größer werdenden Szene übernommen worden sind.
Die Musik selbst und ihre Performance werden dabei zum Glück nicht immer bierernst genommen, denn die verschiedenen Formationen wollen keine abstrakte Musik zeigen, sondern sehen sich selbst als ein wundervoller Ausdruck des Entertainments - u.a. tritt Supernova durchweg kostümiert auf und es gibt ritualisierte Choreographien. Dies alles verdeutlicht, dass die Jazzszene im Revier weit mehr ist als nur das Zusammentreffen verschiedener Musikerpersönlichkeiten. Es ist purer Spaß.
Das musikalische Ergebnis von Supernova und seiner Satellitenbands ist absolut unkonventionell und unterscheidet die Ruhrgebietsjazzszene von denen anderer deutscher Regionen. Laut Jan Klare kommt diese Brutalität im Sound im Süden und Norden gar nicht vor und vielleicht ist der Klang von „Der Rote Bereich“ aus Berlin noch am ehesten damit zu vergleichen. Auch lässt sich Supernova, das mit bis zu drei Schlagzeugern, Oud und Akkordeon auf der Bühne steht, mit keiner der bestehenden europäischen Big Bands vergleichen, da in diesem Fall verschiedenste musikalische Haltungen und Einflüsse in diesem heterogenen Klangkörper durch eine ständige Kommunikation problemlos nebeneinander existieren können.


Regionale Förderung: Netzwerke

Neben einem beachtlichen musikalischen Potential ist für die eigentliche Herausbildung einer kreativen und vitalen regionalen Szene auch die Vernetzung von bereits bestehenden Gruppierungen und Initiativen eine Notwendigkeit. Das auf zwei Jahre angelegte Projekt JazzPodiumRuhr - Swingbeats, das 1999/2000 in verschiedenen Städten des Ruhrgebiets stattfand, war nicht nur die eigentliche Initialzündung für die Supernova Idee, sondern der Versuch, sechs Jazzinitiativen zwischen Moers und Dortmund unter einem Dach zu versammeln.
Ziel und Konzept der Aktion Swingbeats war es, neue Auftrittsmöglichkeiten für regionale Jazzformationen im gesamten Revier zu fördern, um der aufblühenden Szene überhaupt ein Forum zu bieten. Während der eigentlichen Projektphase ist dies mit ca. 50 Konzerten unzweifelhaft gelungen. Den Initiatoren und Veranstaltern des JazzPodiumRuhr ist es zu verdanken, dass sich die vitale und innovative Jazzszene des Ruhrgebiets in voller Breite in der Öffentlichkeit präsentieren konnte. Von diesem ersten Schwung ist in der Folge leider nicht viel übrig geblieben, aber dies ist ein anderes Thema.
Ohne die organisatorische und vor allem auch finanzielle Unterstützung von Swingbeats wären die ersten vier Konzerte von Supernova im Herbst 2000 mit Sicherheit nicht möglich gewesen. Doch reicht es zur Herausbildung einer eigenständigen Jazzszene nicht aus, ausschließlich eine kurze Antriebsförderung zu leisten. Aus diesem Grund haben sich die beiden großen und erfolgreich arbeitenden Jazzinitiativen ProJazz Dortmund und die JazzOffensiveEssen in diesem Jahr zusammengeschlossen, um das Projekt Jazzwerk Ruhr ins Leben zu rufen. Dabei ist das Vorhaben mehr als eine schlichte Wiederholung des Konzepts vom JazzPodiumRuhr – die gezielte Förderung regionaler Auftrittsmöglichkeiten. Jazzwerk Ruhr ist vielmehr Ausdruck und Vision der lebendigen und bereits vorhandenen Jazzszene, regionaler Vernetzungen und Kooperationen, künstlerischer Qualifizierung, von Weiterbildung und Nachwuchsförderung, eines gemeinsamen regionalen Marketings, eines Informationsnetzwerks und natürlich eines aufgeschlossenen und stetig wachsenden Publikums. Eine funktionierende und erfolgreiche Jazzszene ist mehr als regelmäßige Auftritte auf den verschiedenen Bühnen. Viele andere Bereiche, Presse, Musikindustrie etc. gehören ebenso dazu, müssen aber zuerst unter einem Dach versammelt werden. Wenn die Initiatoren des Jazzwerk Ruhr, die in diesem Jahr mit der Konzertreihe Artists in Residence gezielt Matthias Nadolny, Stu Grimshaw und Matthias Müllers Bhavan fördern, auch in den nächsten Jahren so erfolgreich weiterarbeiten wie bisher, wird dies sicherlich auch gelingen.


Probleme der Szene

Trotz verschiedenster Projekte, neuer innovativer Ideen und den in der letzten JT-Ausgabe beschriebenen Netzwerkbestrebungen im Ruhrgebiet hat die hiesige Jazzszene noch eine Menge Probleme zu lösen. Die Idee des JazzPodiumRuhr - swingbeats in den Jahren 1999 und 2000 brachte zwar zunächst neue Auftrittsmöglichkeiten für regionale Jazzmusiker hervor, doch leider sind die ersten Impulse mittlerweile wieder versiegt. „In Bochum gibt es z.B. seit einiger Zeit keinen einzigen Ort um aufzutreten. Herne, Gelsenkirchen, Mülheim, Recklinghausen, Duisburg, Oberhausen? Hier und da eine auslaufende Reihe, ein Museum, ein Kulturamtsleiter“, gibt Peter Eisold, Schlagzeuger bei Supernova, die herrschende Lage im Ruhrgebiet wieder ohne darauf zu verweisen, dass die Situation in anderen Regionen Deutschlands genauso aussieht. Nur in den beiden „Jazzmetropolen“ Dortmund und Essen sind regelmäßige Auftrittsmöglichkeiten für Jazzbands aus der gesamten Region vorhanden. Dabei nimmt das Dortmunder domicil mit seinen vielfältigen Projekten und Jazzreihen eine Schlüsselposition ein. Essen wartet noch immer auf einen eigenen Jazzclub. Analog zum domicil, doch sind dort zumindest verschiedene Bühnen bespielbar. Die anderen Städte, die beim swingbeats Projekt beteiligt waren, konnten den Enthusiasmus der ersten Zeit aufgrund finanzieller Schwierigkeiten nicht fortführen. „Kein Wunder, dass viele Musiker die Flucht ergreifen“ resümiert Saxophonist Matthias Müller die herrschenden Zustände.

Mit seinen 15 Musikern hat das „interstellare Großraumschiff“ Supernova zusätzlich die Schwierigkeit, dass es auf ausreichend große Bühnen angewiesen ist, die in der Region kaum vorhanden sind. Erst im Oktober 2002 hat in Essen der Prüfstand auf dem Gelände der Zeche Zollverein eröffnet, der für solche Projekte genutzt werden könnte. Ob es sich für die Betreiber rentiert, und ob überhaupt Möglichkeiten einer regelmäßigen Präsentation der Jazzszene des Ruhrgebiets gegeben werden, muss sich in naher Zukunft erst noch zeigen.

Zwar ist einerseits NRW mit seinen unzähligen Festivals ein Mekka für den Jazzfan, doch wird andererseits regionalen Gruppen nur selten die Möglichkeit gegeben sich zu präsentieren. Die chronisch unterfinanzierten Festivals sind in erheblichem Maße von den direkten Zuschauereinnahmen abhängig, und daher werden eher bekannte und zugkräftige, ausländische Künstler eingeladen. Die Jazztage in Leverkusen und das Festival in Moers sind Paradebeispiele für die herrschende Geschäftspraxis.

Neben den aktuellen und funktionierenden Netzwerkbestrebungen der JazzOffensiveEssen und ProJazz Dortmund sind für die Szene kaum nennenswerte Fördermöglichkeiten verfügbar. Vom Ministerium in Düsseldorf kommen so gut wie keine finanziellen Mittel, weil in Zeiten chronisch leerer Kassen insbesondere für die „Randkultur“ Jazz kein Geld ausgegeben wird. Eigentlich ist dies nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, mit welch hohen Mitteln ein Prestigeprojekt wie die derzeitige RuhrTriennale unterstützt wird. Zwar wird auch in diesem Rahmen ein groß angekündigtes Jazzprogramm geboten, aber Gruppen aus der Region fallen absurderweise unter den Tisch, obwohl doch die Triennale explizit der Kultur aus dem Industrieraum gewidmet ist.

Hinzu kommt, dass immer noch eine Diskrepanz zwischen Klassik- und Jazzförderung zugunsten der Klassik besteht. „Ideen werden eigentlich immer sofort abgeblockt“, berichtet der Saxophonist und Mitinitiator von Supernova, Jan Klare, von seinen persönlichen Erlebnissen im Düsseldorfer Ministerium. Geringe Mittel werden höchstens noch vom Landesbüro Freie Kultur verteilt. Ein Wunsch für die Zukunft wäre, so Klare, eine bessere Etablierung der Jazzszene in finanziellen Belangen. Seines Erachtens ist es hilfreich, wenn Geld für Arbeitsphasen oder zur Promotion einer CD oder für Auftritte und selbst organisierte Festivals vorhanden wäre. Finanzielle Mittel für die grundlegende Basisarbeit wären ebenso eine willkommene Hilfe, denn ohne diese, wird ein Gros der Zeit vieler Musiker für notwendige aber leider völlig unkreative Organisationsarbeit verschenkt. Auch aufgrund dessen sind regionale Netzwerke wie jazzwerkruhr dringend erforderlich, um solche Angelegenheit zu unterstützen. Es muss aber mit Recht darauf hingewiesen werden, dass damit in jedem Jahr, und es ist fraglich, wie lange das jazzwerkruhr überhaupt vom Land NRW Unterstützung finden wird, nur eine Handvoll Künstler gefördert werden können. Ein Anfang ist gemacht und es bleibt zu hoffen, dass dieser aufgrund der stetigen finanziellen Engpässe nicht sofort wieder zunichte gemacht wird.

Die positiv gemeinte Unterstützung kann aber auch zum Problem für die Szene werden. Die Lobby, die sich für den Jazz in ihrer Region einsetzt, erwartet häufig zu viel von den Unterstützten. Nach einer kurzen Anschubfinanzierung ist meist von den Förderern der Wunsch und das Verlangen nach internationalen Auftritten zu hören, denn nur diese Auftritte werden von ihnen als Erfolg gewertet. Dabei wird aber vergessen, dass schon im nationalen Metier die Auftritte rar sind, ohne die der internationale Durchbruch nicht gelingen kann. Dieser meist nur indirekt ausgeübte Druck könnte durch vermehrte Teilnahme der Musiker selbst an Gesprächen und offenen Runden vermieden werden, mahnt Jan Klare an.


Wahrnehmung von Außen

Die Jazzszene im Ruhrgebiet wird von Außen nicht wahrgenommen. Vielleicht wird Köln noch wahrgenommen“, resümiert der Supernova Saxophonist die derzeitige Situation des Jazz im Revier. Ohne ausreichende Auftrittsmöglichkeiten bleibt es für die Jazzszene im Revier mühsam, sich weiterhin auch über die Grenzen hinaus umfassend zu präsentieren und zu etablieren. Die Hauptfrage, die sich alle nationalen, erst recht die internationalen Veranstalter stellen, ist die, ob es interessant sein kann eine deutsche Gruppe, dann auch noch eine aus dem Ruhrgebiet mit ihrem originellen und ungewöhnlichen Sound einzuladen. Dies ist besonders dann der Fall, wenn man sich die große und fast übermächtig erscheinende Konkurrenz aus dem Ausland betrachtet, die auf fast allen Festivals klar die Oberhand hat. Jan Klare ist der Meinung, dass bei den Veranstaltern ein kulturelles Interesse an der Region Ruhrgebiet vorhanden sein muss. Eine Hauptaufgabe müssen in diesem Zusammenhang die Medien übernehmen. Artikel und Anzeigen in überregionalen Zeitschriften sind nur ein Beispiel dafür. Breitere Wirkung wäre mit Berichten und Reportagen in Rundfunk und Fernsehen zu erreichen, doch da liegt zumindest für NRW das Problem. Der WDR in Köln hat zwar immer noch regelmäßige Jazzsendungen in den Programmen von WDR3 und WDR5, doch sind regionale Jazzvertreter unterrepräsentiert. Wenn in Ausnahmefällen über regionale Gruppen berichtet wird, dann liegt der Fokus noch immer auf der Kölner Szene. Bands aus anderen Regionen NRWs haben dadurch eigentlich kaum eine Chance, in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Dies verwundert, denn auch die ehemals blühende Szene in Köln ist mittlerweile eingeschränkt worden, denn dort herrscht das gleiche Problem wie im Revier – nur noch vereinzelte Auftrittsmöglichkeiten. In Düsseldorf sieht die Situation ähnlich aus. Damit hat das Ruhrgebiet kein individuelles Problem, sondern reiht sich einfach nur in eine lange Liste ein.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass der eigentlich als aussichtsreich zu bezeichnende Regionalisierungsgedanke auch negative Facetten aufweist. Den Trend, die regionale Jazzszene zu stärken, gibt es momentan überall parallel in Deutschland. Ein musikalischer Austausch zwischen den Regionen findet dadurch aber nicht mehr statt, weil jede Region nur ihre eigenen Gruppen fördert. Für Konzepte und Sounds aus anderen Bereichen Deutschlands ist da kein Platz mehr.


Aussichten für die Zukunft

Die Jazzszene im Revier steht wahrscheinlich erst am Anfang einer langen Entwicklung, ein Weg, der von vielen Musikern gemeinsam gegangen wird. Zwar ist die individuelle Entwicklung bei jedem unterschiedlich weit fortgeschritten, doch befindet sich die gesamte Idee einer eigenständigen Szene noch auf den ersten Metern.
Natürlich sind mit der Idee und dem enormen Einsatz, der von allen Beteiligten in das Projekt investiert wird, auch konkrete Ziele und Hoffnungen verbunden. Für Supernova bestehen sie u.a. darin, dass das Orchester regelmäßig die Chance erhalten sollte, auf internationalen Festivals zu gastieren und sich über die Grenzen des Reviers hinaus zu etablieren – ein attraktiver aber schwieriger Weg, da sind sich alle beteiligten Mitglieder einig. Aber es besteht auch eine realistische Chance, denn bereits existierende Orchester wie das Vienna Art Orchestra oder Instabile aus Italien beweisen, dass international die Nachfrage nach großen Jazzbesetzungen existiert. Überzeugen konnte das Orchester bereits 2002 auf zwei niederländischen Festivals. Ob sich der spezielle Sound von Supernova und der der anderen Satellitenbands bei der vorhandenen Konkurrenz durchsetzen kann, muss letztendlich der Zuhörer entscheiden.

Zum Bedauern vieler Musiker spielen im Buisness bei der Auswahl der Gruppen Musik und Inhalte der Lieder nur noch eine untergeordnete Rolle. Durch die Musik allein, kann sich kaum noch eine Band profilieren. Entscheidender sind dafür die Medien und professionell aufgezogene PR, doch damit ist man erneut beim Thema Finanzierung und Medienpräsenz. Ohne die nötigen finanziellen Mittel für gezielte PR-Aktionen lässt sich aber die dringend benötigte Medienpräsenz kaum erreichen.
Auch die tatsächliche wirtschaftliche Situation der einzelnen Musiker wird noch lange ein Problem bleiben. Bisher gibt es kaum Jazzmusiker aus dem Ruhrgebiet, die von ihren Gagen allein leben können (eine Ausnahme bildet wohl Helge Schneider). Daher müssen sich die meisten noch zusätzlich um andere Projekte und Möglichkeiten kümmern, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Unter diesen Bedingungen bleibt es schwierig, der Region Kreativität zu verleihen.

Trotz der vorhandenen negativen Rahmenbedingungen wird die Szene zurzeit, vor allem im Ruhrgebiet selbst, immer präsenter. Erst vor wenigen Wochen ist der Internetauftritt www.ruhrstadtjazz.de eingerichtet worden, auf der sich die regionale Jazzszene endlich umfassend und einheitlich präsentiert. Das „Großraumschiff“ Supernova wird im Frühling diesen Jahres wieder für eine neue CD ins Studio gehen und ihren Sound weiterentwickeln. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die mit Unterstützung des jazzwerkruhr aufgenommene CD von Matthias Müller Bhavan mit dem Produzenten John Corbett bereits fertig gestellt sein. Unter dem Namen Supernova.pool productions entsteht noch in diesem Jahr ein eigenverantwortliches Label. Das Supernova-Festival Mitte April in Essen und Dortmund bildet einen weiteren Höhepunkt in absehbarer Zukunft, berichtet Peter Eisold über die neuesten Aktivitäten rund um Supernova.

Es wird sich erst in den nächsten Monaten und Jahren zeigen, ob sich die Jazzszene im Revier mit ihrem unverkennbar dreckigen und industriell geprägten Sound etablieren kann und über seine Grenzen hinaus nationale und internationale Anerkennung erfahren wird. Es wäre den hiesigen Musikern mit ihren innovativen Ideen zu wünschen. Erste erfreuliche Schritte dahin sind bereits unternommen worden, und die Szene kann im Jahr 2003 hoffnungsvoll auf einen positiven Start zurückblicken.

[im Original erschienen in: Jazzthetik, 01/2003 und 02/2003]

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